Kissinger Sommer: Als stünde die Zeit still

Allein der Zugabenteil wäre die Anreise zur „Russischen Klaviersoiree“ mit der Russischen Nationalphilharmonie beim Kissinger Sommer Wert gewesen: Was Dirigent Vladimir Spivakov an musikalischem Feuerwerk auf die Bühne zauberte, geriet zur betörenden Demonstration an Farbenreichtum, brodelnder Leidenschaft, prickelnder Duftigkeit und Spannung. Sibelius' „Valse triste“ bebte und schillerte, Tschaikowskys Dornröschen-Walzer wirbelte verspielt, und Aram Chatschaturijans Walzer aus „Maskerade“ explodierte nahezu vor aufgestauter Energie und Lust. Das Publikum leitete seine Begeisterung in Beifallsstürme, denen sich sogar die Orchestermitglieder anschlossen: Vladimir Spivakov hatte seine Musiker absolut in der Hand, präsentierte mit wohlgewählter Gestik einen makellosen Klangkörper wie aus einem Guss, abgestimmt bis in die feinste Nuance und federnd musizierend bis in die letzte Faser.
Klassische Leichtigkeit
Davon hatte bereits Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 profitiert: Mit Martin Helmchen als Solist gab es eine Interpretation zu hören, die an Verspieltheit und Leuchtkraft, Innerlichkeit und kristalliner Durchsichtigkeit ihresgleichen suchen dürfte. Dabei wählte Helmchen einen mehr von klassischer Leichtigkeit geprägten Ton, wiewohl sich der zweite Satz in einem so fesselnden Dialog verdichten durfte, dass die Zeit stillzustehen schien. Ein Kleinod – gefolgt von einem Rondo, dessen anfängliche Tempowahl alle Möglichkeiten zu überschwänglicher Entwicklung offen ließ.

Üppiges Klanggemälde

Helmchen konnte seine stupende, bei ihm ganz selbstverständlich wirkende Virtuosität voll ausspielen, schuf Momente von atemberaubender, samtpfotiger Schönheit, aber auch freudvoll dahingaloppierend. Seine Anschlagsvariabilität erlaubt ihm knisternde Sphärik ebenso wie triumphale Gesten – ein Genuss in jeder Sekunde. Mit Vladimir Spivakov und dem Orchester spielte er traumwandlerisch stimmig zusammen, alles passt: vom kleinsten eingeworfenen Tupfer bis zur überwältigenden Ekstase, Apotheose gar. Jubel auch für Peter Tschaikowskys Sinfonie Nr. 4: Ein musikalisches Spektakel entstand hier, ein lebendiges Musizieren voller Extreme und Gefühle, ein üppiges Klanggemälde. Kantilenen wie Vogelgezwitscher, dann wieder pathetischer Ausdruck, tänzerische Eskapaden und liedhafter Volkston – aus Spivakovs Interpretation sprach die „russische Seele“, entstand eine überschäumende Pracht, die von der registerreichen Instrumentationskunst der russischen Volksinstrumentenensembles inspiriert schien. Nicht nur die grazil agierenden Holzbläser gälte es hier zu rühmen: Das war ein Abend der Superlative. Main-Post 17.07.2016

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