Bergsträßer Anzeiger: “Nationalphilharmonie aus Russland begeistert”
Mitreißender Musterknabe
Von unserer Mitarbeiterin Waltraud Brunst
Da kommt ein Jüngling im Konfirmationsanzug auf die Bühne im ausverkauften Mozartsaal, um Haupteslänge überragt vom Dirigenten Vladimir Spivakov. Und der erste ketzerische Gedanke ist "Wie will der Knabe Tschaikowskys pianistisches Schlachtross bewältigen?" Immerhin stand doch im Programmheft, dass der 28-jährige Dmitry Masleev schon zu Studienzeiten viele internationale Preise und 2015 gar den Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb gewonnen hatte.
Nun, schon die ersten donnernden Oktavengänge im Kopfsatz Allegro non troppo e molto maestoso des Klavierkonzerts Nr. 1 b-Moll opus 23 von Peter Tschaikowsky beseitigten jeden Zweifel. An unbändiger Kraft mangelte es dem erstaunlichen jungen Mann gewiss nicht. Mit Bravour meisterte er die virtuosen Herausforderungen, fand aber auch eine Fülle von Ausdrucksfacetten für den lyrischen Mittelsatz Andantino semplice und das Allegro con fuoco-Finale. Spivakov begleitete hingebungsvoll mit der Russischen Nationalphilharmonie und ließ vor allem die schönen Holzbläser-Soli erblühen. Für den reichen Beifall dankte Masleev mit einer brillanten "Scène dansante" von Tschaikowsky.
Höchste Authentizität versprach - und hielt - die Russische Nationalphilharmonie, die eng mit der Vladimir-Spivakov-Stiftung zugunsten junger talentierter Musiker zusammenarbeitet, auch mit der Interpretation der Sinfonie Nr. 4 f-Moll opus 36 von Tschaikowsky. Spivakov entfesselte in den dramatischen Ecksätzen enorme Dezibelstärken, überzeugte aber vor allem in der Intimität der instrumentalen Dialoge im Andantino und in der unfassbaren Virtuosität des Pizzicato-Scherzos.
Mehr als großzügig die Zugaben: zwei Mal Tschaikowsky, der Walzer aus dem Ballett "Dornröschen" und ein rasanter Tanz aus dem "Nussknacker", schließlich mit viel Liebe zum Detail der Marsch aus der Oper "Die Liebe zu den drei Orangen" von Sergei Prokofjew.
Bergsträßer Anzeiger, 17.11.2016